Author: Rachel Greene

BE Magazine, Issue 8 2002


Sue de Beer - Neue Fotoarbeiten

Aus ihrem neueren fotografischen Werk muss man wohl schlieþen, Sue de Beer sei eine rege Konsumentin von Kulturgut der schwärzeren Art. Ihre neuen Fotoarbeiten beziehen sich auf Vorlagen und Einflüsse wie etwa Nightmare on Elm Street, das Columbine-Highschool-Massaker* und Erzählungen von Dennis Cooper. Auf den ersten Blick hat man das Gefühl, de Beer habe eine Vorliebe für Soaps und sei nicht an harter Gesellschaftsdokumentation und -kritik interessiert. Man erkennt sofort, dass de Beer mit einer Proust'schen Hang zum Detail arbeitet, jener Detailgenauigkeit, die Professoren und Cineasten beschäftigt, und die - zumal de Beer keine High-Low-Unterscheidungen trifft- einem auch in der Arbeit von obsessiven Schlafzimmer-Bastlern, Homepage-Gestaltern und hingebungsvollen Fans begegnet. Auþerdem wird man bemerken, dass sich viele dieser sorgfältig durchdachten Fotoarbeiten um gewaltsame historische Ereignisse und um Gewalt darstellende Kunstwerke drehen.

Das grafisch gewalttätige der Fotos steht - verständlicherweise - für einige der Betrachter im Vordergrund und ermöglicht es ihnen, Fragen darüber anzustellen, was sich Künstler so erlauben dürfen, warum etwas Kunst ist oder nicht, wo Anstand und Moral geblieben sind - all diese Tiraden eben. Eine andere Form von Skepsis hebt womöglich eher auf die Psychologie und den Lebenszusammenhang der Künstlerin selbst ab: Angesichts der Dias, die ich fürs Schreiben dieses Artikels benutzt habe, fragte mich jemand "Warum steht sie eigentlich so auf Verstümmelung?" und "Ist sie tatsächlich verrückt?" Sicher, de Beers Fotoarbeiten sind ungewöhnlich innerhalb des zeitgenössischen Kunstmarkts, in dem Bilder und Darstellungen von Gewalt allgemein unerwünscht sind. Auþerdem spielen vielleicht die Vorurteile eine Rolle, dass ihre Arbeit bloþ billige, Aufsehen erregende Aufnahmen zu Grunde legen und einen Kult bedienen würde; oder sogar, dass eine solche Arbeit eher zu akzeptieren wäre, wenn sie von einem Mann käme. Ein paar dieser Bedenken werden womöglich durch einen Mangel an offenbarer Emotion in vielen der Fotos noch gefördert.

Diese Kritiker sollten sich zunächst vergegenwärtigen, dass sich de Beers Arbeit als Teil einer Bildtradition versteht, die sich mit dem toten beziehungsweise vergewaltigten Körper auseinandersetzt, wie es sich auch in künstlerischen Praktiken etwa von Edouard Manet, Paul McCarthy und Sue Coe finden lässt (um nur sie zu nennen). Unabhängig von diesem künstlerischen Tradition ist die Gewalt aber auch Teil einer wohlüberlegten und strukturierten Projektion innerhalb unserer amerikanischen Kultur, in der wir alle dazu aufgerufen sind, Grausamkeiten zu verurteilen wie etwa die Columbine-Highschool-Morde, Jon Benet Ramsays** Tod und dessen Ausschlachtung in den Medien oder jene Teenager, die Babys in Mülltonnen werfen (um wiederum nur dies zu nennen). De Beer greift solche Geschehnisse unerschrocken auf, und sie erforscht sie gründlich. Sie interessiert sich für die Entstehung und Ausübung von Gewalt und untersucht dabei alle möglichen Ebenen, angefangen bei den Set-Konstruktionen von Filmen wie Nightmare on Elm Street über die speziellen Familiengeschichten von Amokschützen an Schulen bis hin zu unterschiedlichen Landschaften in den einzelnen Spielebenen von Quake. Sie ist ganz einfach eine passionierte und unbestechliche Betrachterin dessen, was traditionellerweise aus der Mainstream-Kultur ausgeschlossen ist.

Ihre Kompositionen neigen zu einer hochgradigen, fast diagrammartigen Strukturiertheit, aber auch zu sparsamer oder mangelnder Oberflächenspannung. Diese gewisse ëLangweiligkeit' der jüngsten Fotoarbeiten ist dabei ebenso präzise austariert wie andere formale Aspekte ihrer Bildsprache. Unspektakulär an der Oberfläche, erlauben die Fotos zahlreiche Widersprüche und Zumutungen, die mit der Erfahrung verknüpft werden, den Horror zu konsumieren, und die darüber in den Vordergrund treten. Wenn in Bed, einer Arbeit, die auf einem Slasher-Film basiert, Blut von der Decke tropft, ist das ein eher stilles Element innerhalb einer architektonischen Szenerie, in der im Ganzen irgendetwas faul zu sein scheint: Das Foto markiert eine Reihe von räumlichen Widersprüchen, während ein Körper zerstückelt wird. Oder jenes Foto - angeregt durch eine Szene aus Dennis Coopers Frisk -, das zeigt, wie sich die Künstlerin im vollkommenen Chaos selbst gebiert (Untitled): Ein Bild, das die Frage nach körperlicher Begrenzung, Verschmelzung und Logik aufwirft. Hier sind Elemente wie Körperlichkeit, Volumen, Umriss und Verlauf der Arme, die marmorweiþe Haut herausgearbeitet, während der Gesamteindruck einigermaþen flach ist. Dem entsprechend erscheint die Anstrengung, das eine Erwachsene eine andere gebiert, mehr körperhaft als erschreckend; der Anblick von Untitled vermittelt ein Gefühl des Unbehagens. In stärker auf Darstellern basierenden Arbeiten wie Sasha, der Aufnahme von einer Statistin aus einem Horrorfilm, vergisst man angesichts der Langeweile der Sitzenden und ihrer Sargentesken*** Schüchternheit beinahe all die aufgeschlitzten Bäuche, die überall zu sehen sind. Obwohl fiktional, haben Sasha und der Film, in dem die Akteurin mitgespielt haben könnte - die Sets, Codes, die unterschiedliche Beleuchtung des Films et cetera -ihre eigenen Kräfte, Möglichkeiten und Abläufe, und daran ist de Beer interessiert.

De Beers ungewöhnlicher aber reichhaltiger Mikrokosmos zur Untersuchung formaler Aspekte und kultureller Phänomene versetzt sie in die angreifbare Position, dass ihre Arbeit als moralisch zweifelhaft und als suspekt begriffen werden kann. Ÿhnlich wie bei Gerhard Richters Baader-Meinhof-Serie bedeutet aber diese Angreifbarkeit für die Arbeit zugleich einen ihrer entscheidenden Gehalte. Es geht hier um mehr als um kultischen Schockeffekt: Erstens bleiben historische Ereignisse im Allgemeinen sowie der Columbine-Fall und vergleichbare Schulattentate im Besonderen für die meisten von uns eine auf lange Zeit hin ungelöste Angelegenheit. De Beers Arbeit fordert deren erneute Infragestellung heraus, lässt uns diese Ereignisse noch einmal durcharbeiten. Zweitens kann man wohl nicht umhin, ihre freigeistige Herangehensweise und ihre Bildsprache zu genieþen. Drittens wirkt ihre Arbeit weder formal noch intellektuell betrachtet oberflächlich (ihre Selbstporträts sind geradezu episch): Sie hat vielmehr etwas zwingendes.

* Am 20. April 1999 wurden an der Columbine-Highschool in Littleton, Colorado, zwölf Studenten und ein Lehrer von den Studenten Dylan Klebold und Eric Harris getötet. Die beiden beendeten das Blutbad durch Selbstmord. Es war das schlimmste Highschool-Massaker in der Geschichte der USA.

**Jon Benet Ramsay wurde 1996 erschlagen im Haus ihrer Eltern in Boulder, Colorado, aufgefunden. Jon Benet hatte regelmäþig an Kinder-Schönheitswettbewerben teilgenommen und im Jahr vor ihrem Tod den Titel der 'Little Miss Colorado' gewonnen. Sie starb im Alter von sechs Jahren.

***John Singer Sargent (1856-1925), einer der bedeutenden amerikanischen Maler des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, war unter anderem für seine Porträts der Schönen und der (Einfluss-)Reichen bekannt und beliebt. Er porträtierte unter anderem Präsident Woodrow Wilson, den ÷l-Tycoon John D. Rockefeller, den Schriftsteller Henry James sowie Kunstmäzenin Isabella Stewart Gardner.