Author: Doreet Harten

Checkpoint Magazine, Arndt & Partner, September 2007

SUE DE BEER
UND IHR VERSTÄNDNIS DES
SCHRECKLICHEN (IMMER LIEBREIZEND)

Sue de Beer wird des Öfteren sinngemäß als Grande Dame der pubertären Ästhetik bezeichnet. Doch solche Einschätzungen tragen nicht der Tatsache Rechnung, dass die Künstlerin diese Kategorie strategisch einsetzt. Weder geht es ihr in ihren frühen Arbeiten um die Qualen der Jugend, noch in ihrem späteren Werk, etwa The Quickening (2006), um die melancholische Benommenheit der etwas reiferen Helden. Im Gegenteil, sie beugt dem Jammern der Figuren in ihren Filmen ganz bewusst vor, indem sie ihnen Worte von religiösen Fanatikern, beispielsweise dem dekadenten Neurotiker Joris-Karl Huysmans oder die im Höllenfeuer-Stil eines Puritanerpredigers geschriebenen Texte von Jonathan Edwards, in den Mund legt oder diese von einem Sprecher aus dem Off (gewissermaßen als Stimme Gottes) vortragen lässt. Damit erzeugt sie eine Diskrepanz, einen Widerspruch, der sie als wahre Voyeurin der Moderne ausweist. De Beer besetzt die Rollen der Teilnehmer der minutiösen Rituale in ihren Filmen mit jugendlichen Protagonisten, die sie eher wegen ihres schönen Anblicks als wegen ihrer gequälten Seelen auswählt. Doch setzt sie ihre Figuren so ein, dass in ihnen ein übergreifendes Thema zum Ausdruck gelangt: der Übergang der Moderne zu all ihren Post-Strömungen und den damit verbundenen Illusionen und Traumata. Als Reflektoren dieses Übergangs bilden sie die visuelle Matrix ihres Werks.

So bietet ihr die Jugend mit all ihren stotternden Gesten die Möglichkeit, die Sprache aus dem Spiel zu nehmen und so die Fuzzy-Logik ihrer Bilder von eindeutigen Interpretationen unabhängig zu machen.

Das Betrachten einer Videoinstallation von de Beer ist daher nicht gerade eine Erfahrung textueller Kohärenz, sondern vielmehr ein (Wieder-) Erkennen von Erscheinungen. Willentlich wird auf jegliche Requisiten verzichtet, die dem Betrachter bei der Entschlüsselung der Szenen behilflich sein könnten. Linguistische Gerüste brechen weg, es sei denn, man stützt sich auf persönliche Mythologien. Die Erzählung steht nur selten in Bezug zum Bild, die Bildfolgen scheinen wie einem Delirium entsprungen. Das Ganze ist eine Traumlandschaft mit ikonischen Erinnerungen.

In gewisser Hinsicht ist de Beer eine wahrhaft amerikanische Künstlerin, eine Künstlerin in der Tradition von Edward Kienholz, Ed Ruscha und Robert Longo. Mit wahrhaft amerikanisch meine ich die Fähigkeit, ein spirituelles Werk zu schaffen, das jedoch nicht in einer geschichtlichen Matrix verankert ist. Es ist die Fähigkeit, Ideen auf der Grundlage einer immerwährenden Gegenwart zu entwickeln, in der die Geschichte ein Ferienort ist, von dem man Souvenirs als Sammlung kollektiver Erinnerungen mit nach Hause bringt. Geschichte ist also nicht die Quelle, sondern der Gegenpol, der die Gegenwart erst verständlich und fassbar macht.

Eine solche Geschichtsauffassung bestimmt auch de Beers Blick auf die eigene Zeit. Die Gegenwart wird als Horrorgeschichte dargestellt und ist damit in ihrem Mangel an unmittelbarer historischer Kontinuität auch nostalgisch, unheimlich und besessen von Äußerlichkeiten. Eine mythische, fossile Gegenwart, die sich als Schauergeschichte (gothic story) präsentiert, gerade weil das Konzept der gothic story auf der Verfälschung von Geschichte beruht und damit eine Vergangenheit schafft, die es so nie gegeben hat.

Die von der Vergangenheit abgespaltene und somit verwaiste Gegenwart wird traditionell in der Form des Märchens überliefert, eine Form, die de Beer in vielen ihrer Werke einsetzt. Hans and Grete, ihre Videoinstallation aus dem Jahr 2002, mag sich oberflächlich auf den deutschen Mythos der RAF beziehen und andeuten, dass die Gleichsetzung von pubertärer Melancholie und terroristischen Aktionen als Erfüllung von Sehnsüchten etwas sehr Tröstliches hat. Unterscheidet man jedoch zwischen Horror und Terror, so erkennt man, dass das wahrhaft authentische Kapital, auf dem ihre Werke basieren, nicht die terroristischen Gewaltakte sind, sondern ganz eindeutig der Horror als ein geistiges Konstrukt. Man könnte sagen, de Beer betrachte die Wirklichkeit mit einem gewissen Staunen, anstatt sich ihr mittels psychoanalytischer Verfahren zu nähern: Dinge werden gezeigt, aber nicht erklärt. Indem sie das Werk nach den Decknamen von Baader und Ensslin Hans and Grete benennt, katapultiert sie die Wirklichkeit ins Reich der Märchen, wo das Reale Lacans innerlich wird und zu bluten beginnt. Erinnern wir uns, dass Hans und Grete ­ Hänsel und Gretel ­ von ihren Eltern in den Tod geschickt wurden, ganz einfach und ohne Entschuldigung. In allen Märchen geht es darum, den Horror offen zu legen, und dieser bildet auch das Grundgerüst, um das sich de Beers Geschichte der Uneindeutigkeiten rankt. In The Quickening tanzt ein junges Mädchen mit einem Wolf ­ und war es nicht Rotkäppchens Mutter, die sie, nicht ganz unwissend, was Vergewaltigung betrifft, hinausgeschickt hat zu ihrer inzestuösen Begegnung mit genau diesem Tier? Ebenfalls märchenhaft ist das wiederkehrende Motiv des Doppelgängers, wie es beispielsweise in den vielen geteilten Bildern auftaucht, die schließlich damit enden, dass der Kopf der Künstlerin in zwei Teile gespalten wird (Untitled, 1998).

Das Reale bedarf keiner Erzählung, aber einer geistigen Verfassung. Das bringt mich zurück zum Konzept des gothic, der Schauerästhetik, das de Beer ­ wie schon Kienholz, Ruscha und Longo ­ zum ästhetischen Mittler macht. Indem sie das Stilmittel des Gotischen einsetzt, kann de Beer die Rolle der unzuverlässigen Erzählerin einnehmen und damit die Freuden des Missverstandenwerdens für sich nutzen. Ihr wird Zutritt zum Reich des verwunschenen Ortes, des Spukhauses, der antiquierten Arena und ihren nekromantischen Genüssen gewährt.

Das ist der Grund, warum de Beer Wert auf einen inszenierten Kontext für das Betrachten ihrer Videos legt. Indem der Raum durch eine Reihe von gezielten Eingriffen zur Erweiterung des halluzinatorischen Bildschirms wird, den Horror so einkapselt und zusammen mit dem Betrachter in ein abgegrenztes Umfeld einschließt, entsteht eine Art Schneekugel-Effekt. Der Film wird in die Wirklichkeit hinein verlängert, oder, anders ausgedrückt, durch die Sakralisierung wird der nun nicht mehr gewöhnliche Raum um die Möglichkeit von Wundern und Greueltaten bereichert.

Wie schon in ihren früheren Werken setzt de Beer auch in ihrer neusten bei Arndt & Partner Berlin gezeigten Videoinstallation ­ einer der offiziellen Darstellung widersprechenden Geschichte des Bauhaus` Dessau ­ Pastiche-Technik ein. In den Annalen der Kunstgeschichte steht das Bauhaus für alles Moderne, also für das Konstrukt einer verheißungsvollen Zukunft auf Grundlage der Vernunft. Aber genau wie die abstrakte Kunst hantiert auch das Bauhaus mit okkulten Wahrnehmungen, und seine Besessenheit mit dem Fortschrittsgedanken wurde von vielen seiner Mentoren, etwa Johannes Itten oder Wassily Kandinsky, in einer Sprache ausgedrückt, die eher esoterisch als wissenschaftlich war. Diese okkultistischen Tendenzen entspringen der Theosophie, wie im Falle Kandinskys, oder dem Mazdaznan-Kult, einer zoroastrischen Sekte, der Itten angehörte. De Beer stellt ihnen einen visuellen Raum zur Verfügung, dessen Farbgebung, morbide Atmosphäre und physische Kontextualisierung (man wird durch einen Wald zum Werk geleitet) sich auf das Okkulte beziehen ­ dies ist die Geisteslandschaft, die sie schon in früheren Werken eingesetzt hat, der geistige Raum, in dem sie sich heimisch fühlt. Und wie in den früheren Werken wird auch hier die Bedeutung destabilisiert, indem der Text des Bauhaus-Manifests ­ ein Text voller Erwartungen, gesprochen in der autoritativen Stimme des Wissenden ­ mit Bildern überlagert wird, die seine Bedeutung verändern. Der Text ist ein Widerhall von Oscar Schlemmers Triadischem Ballett über eine Allianz zwischen Mensch und Maschine, die nun in eine Breakdance-Sequenz mutiert und damit das Versprechen hält, ihm jedoch gleichzeitig die ursprünglich darin enthal- tene Schicklichkeit verweigert. Diese Diskrepanz zwischen dem utopistischen und rationalen Text und dem obskuren Umfeld aus Lichtmaschinen und unaufgelöster Darstellung, dieses Bilderrätsel zwischen Vernunft und ihren wahnsinnigen Töchtern ist das Herz der Finsternis, zu dem wir geführt werden. So betrachtet ist das Bauhaus eine Geisterstadt, deren Bewohner uns in unseren Träumen aufsuchen, ein Ort, an den man durch den Wald und nur aus Versehen gelangt. Ein Ort der gebrochenen Versprechen.